12 April 2022
Toleranzketten sind ein Thema, das bei jeder Montage eines Gleitlagers berücksichtigt werden muss. Ihre Berechnung ist der Ausgangspunkt für die Beurteilung, welche Maßnahmen zum Toleranzausgleich ergriffen werden können, damit Ihr System funktioniert wie geplant. Die folgenden Punkte liefern eine einfache Erklärung der Problematik, erläutern die Methode zur Toleranzkettenberechnung und noch viel wichtiger: Was können wir diesbezüglich für Sie tun, um Ihr System zu optimieren?
Wenn Sie Bauteile für eine Baugruppe bestellen, geben Sie die erforderlichen Abmessungen an. In der Praxis können die meisten Herstellungsverfahren nicht garantieren, dass die Bauteile in einer Charge alle genau die gleichen Abmessungen haben. Die Fertigungstoleranz ist der Betrag, um den ein Maß variieren darf. Nehmen wir zum Beispiel eine Welle für eine Lagerstelle. Die Fertigungstoleranz legt eine Ober- und eine Untergrenze für den Wellendurchmesser fest.
Betrachten wir eine Baugruppe, bei der diese Welle in eine Bohrung eingesetzt wird: Wenn der Wellendurchmesser zu groß ist, passt die Welle nicht in die Bohrung; ist er zu klein, wird sie aufgrund des vorhandenen Spiels klappern. Diese beiden Extrema gilt es zu vermeiden.
Aber auch die Bohrung wird im Durchesser schwanken, da auch sie eine Fertigungstoleranz hat. Wir müssen sicherstellen, dass die Welle und die Bohrung gut passen – selbst dann, wenn die Varianten mit maximaler und minimaler Größe kombiniert werden. Für die betrachtete Baugruppe wären dies die größte Welle mit der kleinsten Bohrung und auch die kleinste Welle mit der größten Bohrung.
Als Nächstes führen wir ein drittes Bauteil ein: ein Gleitlager (allgemein auch als Buchse bekannt) wird zwischen Welle und Bohrung eingebracht. Die Dicke des Lagermaterials unterliegt ebenfalls einer Fertigungstoleranz. Die engste Passung ergibt sich nun aus einer Kombination des maximalen Wellendurchmessers, der maximalen Dicke des Lagermaterials und des minimalen Bohrungsdurchmessers. Die lockerste Passung ergibt sich aus einer Kombination von minimalem Wellendurchmesser, minimaler Dicke des Lagermaterials und maximalem Bohrungsdurchmessers. Abbildung 1 zeigt diese beiden Grenzsituationen.
Abbildung 1a. Toleranzkette kleinstes Schließmaß
Abbildung 1b. Toleranzkette größtes Schließmaß
Ziel ist es, die richtige technische Passungssituation zwischen den Bauteilen zu erreichen. Bei Lagerbaugruppen bestimmt die Passung weitgehend die Höhe des Drehmoments, das zur Erzeugung der Bewegung erforderlich ist. Am engen Ende des Passungsspektrums befinden sich die Presssitze (auch als Presspassungen bekannt). Dabei ist der Wellendurchmesser immer etwas größer als der der Bohrung. Bei einigen Anwendungen ist ein hohes Übermaß erforderlich, um die beiden Komponenten fest miteinander zu verbinden und keine Relativbewegung zwischen ihnen zuzulassen. In anderen Fällen muss das Übermaß geringer sein, um eine Bewegung zu ermöglichen. Je höher das Übermaß ist, desto mehr Drehmoment ist für die Bewegung erforderlich.
Am losen Ende des Passungsspektrums befinden sich die Spielpassungen. Bei diesen Passungen wird immer ein leichter Spalt zwischen Welle und Bohrung vorhanden sein. Es gibt auch Sonderfälle, die als 0 auf 0 Passungen bekannt sind. Diese lassen ein geringes Spiel zu, jedoch nicht so viel Spiel, dass ein Klappern entsteht. Außerdem lassen sie ein geringes Übermaß zu, aber nicht so viel, dass ein übermäßiges Drehmoment entsteht.
Diese drei Passungsarten werden durch die Anwendungsbeispiele in Abbildung 2, 3 und 4 veranschaulicht, bei welchen die Gleitlager rot hervorgehoben sind.
Abbildung 2. Seitentürscharnier
Ein Seitentürscharnier für ein Fahrzeug (Abbildung 2) benötigt einen Presssitz. Die resultierende Pressung zwischen Bolzen, Gehäuse und Gleitlager bestimmt das Drehmoment. Das System muss so konstruiert sein, dass das Drehmoment niedrig genug ist, um ein leichtes Öffnen und Schließen der Tür zu ermöglichen. Gleichzeitig muss es hoch genug sein, um unerwünschte Bewegungen einer geöffneten Tür zu verhindern.
Der Riemenspanner in einem Motor (Abbildung 3) benötigt eine Spielpassung mit dem richtigen Maß an Spiel, um einen ruhigen Lauf zu ermöglichen. Eine Presspassung würde hier zu einem zu hohen Drehmoment und schnellem Verschleiß führen.
Abbildung 3. Riemenspanner
Abbildung 4. Sitzhöhenverstellmechanismus
In einem Sitzhöhenverstellmechanismus (Abbildung 4) existieren mehrere Lagerstellen mit vielen Abweichungsmöglichkeiten bei der Bohrungsgröße und für Fluchtungsfehler. Bei der Montage wird über die unterschiedlichen Bauteile eine Vorspannung aufgebracht, um das Spiel zu verringern. Das Ergebnis ist eine 0 auf 0 Passung mit genügend Spiel, um Fluchtungsfehler zu ermöglichen. Das Drehmoment sollte ausreichen, um ein Klappern zu vermeiden, aber nicht so hoch sein, dass der Benutzer beim Einstellen des Sitzes einen großen Kraftaufwand hat.
Die Berechnung der Toleranzkette in einer Lagerbaugruppe (wie in Abbildung 5 dargestellt) erfolgt mit zwei einfachen und überschaubaren Gleichungen.
Abbildung 5a. Toleranzkette, maximales Übermaß
Die erste dient dazu, das maximale Übermaß zu bestimmen, das auch als Mindestabstand bezeichnet werden kann. Dieses wird wie folgt berechnet:
Minimaler Bohrungsdurchmesser
Minus das Doppelte der maximalen Gleitlagerwerkstoffdicke
Minus maximaler Wellendurchmesser
Die zweite Gleichung bestimmt das minimale Übermaß, welches auch als maximales Spiel bezeichnet werden kann. Dieses wird berechnet als:
Maximaler Bohrungsdurchmesser
Minus die doppelte minimale Gleitlager-Werkstoffdicke
Minus minimaler Wellendurchmesser
Figure 5b. Tolerance stack-up, min interference
Was sagt die berechnete Toleranzkette aus? Mit ihrem Fachwissen und ihrer Erfahrung können die Ingenieure von Saint-Gobain die Daten im Hinblick auf die Konstruktion und die Anwendung der Baugruppe bewerten. Dabei wird ermittelt, wie viel Übermaß oder Spiel ein Problem darstellen. Mit Hilfe von Berechnungsprogrammen wird ermittelt, welche Kombination von Gleitlagermaterialien, Strukturen und Formen am besten geeignet ist.
Um ein bestimmtes Leistungsniveau der Baugruppe zu erreichen, z.B. einen ganz bestimmten Drehmomentbereich, können niedrige Einzeltoleranzen für die Bauteile und eine niedrige Toleranzkette erforderlich sein. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht darin, eine präzisere Fertigung der Bauteile zu spezifizieren, was jedoch die Kosten stark erhöht. Die andere Möglichkeit ist die Nutzung der Toleranzausgleichsmöglichkeiten von Saint-Gobain’s NORGLIDE® Gleitlagern, RENCOL® Toleranzringen and SPRINGLIDE™ Gleitlager-Elementen.
Diese drei Produktreihen von Saint-Gobain wurden entwickelt, um die vielen verschiedenen Anwendungsanforderungen zu erfüllen. Sie gleichen nicht nur Toleranzen, sondern auch Fluchtungsfehler in Baugruppen aus und ermöglichen so eine einfachere und kostengünstigere Herstellung von Systemen.
NORGLIDE® Gleitlager sind mit einer selbstschmierenden PTFE-Schicht ausgestattet, die eine reibungslose Bewegung gewährleistet. Kombiniert mit einer Auswahl an Metallen und Zusatzstoffen in verschiedenen Konfigurationen ergibt sich eine breite Palette von NORGLIDE®-Werkstoffen, die für unterschiedliche Anwendungen geeignet sind.
Eine wichtige Eigenschaft von NORGLIDE® in Bezug auf den Toleranzausgleich ist die Maßhaltigkeit. Die radiale Wanddicke des Gleitlagers kann durch ein Kalibrierverfahren angepasst werden, bei dem ein überdimensionaler Stift durch das Gleitlager geschoben wird. Für jede Anwendung kann ein spezifischer NORGLIDE®-Werkstoff ausgewählt werden, der ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Kalibrierbarkeit, Belastbarkeit und weiteren Faktoren aufweist.
Die Dicke und Viskoelastizität des PTFE in Verbindung mit einer geeigneten Kalibrierung gleicht Fertigungstoleranzen aus. Die Dimensionierung kann genau berechnet werden, um ein bestimmtes Drehmoment zu erzeugen. Je größer das Übermaß der Welle im Vergleich zum Innendurchmesser des Gleitlagers ist, desto höher ist das Drehmoment.
Zu den zahlreichen Anwendungen von NORGLIDE® Gleitlagern gehören Seitentürscharniere, Riemenspanner und Sitzhöhenverstellmechanismen.
Ein RENCOL® Toleranzring ist im Wesentlichen ein Bauteil zum Verbinden von zylindrischen Gegenstücken, wie z.B. einer Welle und einer Bohrung. Seine Form weist Wellen oder andere Vorsprünge auf, die wie Federn wirken. Diese werden bei der Montage zusammengedrückt, um eine Kraft zu erzeugen, die die Bauteile zusammenhält.
Das Design des Toleranzrings kann so gewählt werden, dass unterschiedliche Kräfte und damit unterschiedliche Drehmomente erzeugt werden. Die Anwendungen reichen von statischen Verbindungen mit hohem Drehmoment, die sich nicht bewegen sollen, bis hin zu relativ frei beweglichen Systemen mit geringem Drehmoment.
Sie werden beispielsweise bei der Befestigung von Gleitlager- und Motorhalterungen, bei der Rotationsreinstellung von Bauteilpositionen und bei Scharnieren für Armlehnen eingesetzt.
In manchen Situationen ist die Toleranzkette zu groß, als dass NORGLIDE® sie ausgleichen könnte. Ein RENCOL® Toleranzring kann größere Toleranzen ausgleichen. Er kann jedoch nicht in Anwendungen eingesetzt werden, die eine geringe Reibung erfordern. Aus diesem Grund hat Saint-Gobain RENCOL® und NORGLIDE® zu einem Produkt kombiniert, das sowohl eine hohe Ausgleichstoleranz als auch eine geringe Reibung bietet: SPRINGLIDE™ Gleitlager-Elemente.
Bei SPRINGLIDE™ Gleitlagern ist eine PTFE-Schicht mit dem Federstahl verbunden. Wie bei einem RENCOL® Toleranzring enthält die Form des Gleitlagers Vorsprünge – wie Wellen, Rippen oder Finger – die als Federn wirken. Die von ihnen ausgeübte Kraft kann in Verbindung mit den reibungsmindernden Eigenschaften der Polymerschicht so eingestellt werden, dass das von Ihnen gewünschte Drehmoment erzeugt wird.
Wichtig ist, dass SPRINGLIDE™ Gleitlager-Elemente die Gleitkraft innerhalb des von Ihnen festgelegten Bereichs halten, selbst bei unerwarteten Fluchtungsfehlern, variierenden Lasten und wechselnden Umgebungsbedingungen.
Ein Beispiel für die Anwendung dieser Lösung ist in Abbildung 6 für den Höhenverstellmechanismus der Kopfstütze eines Fahrzeugsitzes dargestellt. Die Bohrungen des Kunststoffgehäuses, in die die beiden höhenverstellbaren Stangen eingesetzt sind, variieren im Durchmesser mit der Temperatur. Außerdem sind die Stangen nie parallel. Aufgrund dieser Faktoren ändern sich die Gleiteigenschaften der Stangen im Laufe der Jahreszeiten. Im Sommer, wenn der Kunststoff weicher wird und sich entspannt, bewegen sie sich leicht und manchmal ungewollt. Zur Winterzeit, wenn der Kunststoff hart wird und sich zusammenzieht, benötigen sie unter Umständen eine große Kraft zum Verstellen. Mit SPRINGLIDE™ Gleitlager-Elementen wird die Gleitkraft optimiert und bleibt konstant.
Abbildung 6. Kopfstütze
SPRINGLIDE™ Gleitlager-Elemente sind eine neue Lösung mit großem Potential für weitere Anwendungen.
NORGLIDE®, RENCOL® und SPRINGLIDE™ sind keine Einzelprodukte. Jedes kann in einer enormen Vielfalt an Geometrien, Materialien und anderen Konfigurationen geliefert werden – maßgeschneidert, um die spezifischen Anforderungen Ihrer Anwendung zu erfüllen. Unsere Ingenieure werden in allen Entwicklungsphasen eng mit Ihnen zusammenarbeiten, um diese Anforderungen genau zu verstehen und zu erfüllen.
Um Ihre Herausforderungen mit uns von Ingenieur zu Ingenieur zu besprechen, verwenden Sie unser Kontakformular oder senden Sie uns eine E-Mail an: makingabigdifference@saint-gobain.com.